Ich lief.
Der Himmel war mit Wolken verhangen und die Luft stand wie in einem Kochkessel. Sie war trocken und bitter kalt. Ich war nun schon seid mehr als drei Wochen in diesem Drecksloch eingesperrt und so langsam begann ich zu verstehen, was Elenia gemeint hatte. Was sie, bei allem was sie von sich gegeben hatte gemeint hatte. In Nerodom war es schrecklich und ich hatte wirklich Angst meinen Witz zu verlieren. Es hatte mir mit den Tagen sogar die Sprache verschlagen und das kam nun wirklich nicht häufig vor. Der Rock, welcher zur Schuluniform gehörte kratzte, aber auch daran hatte ich mich so langsam gewöhnt. Die dunkle Nylonstrumpfhose hatte bereits eine Laufmasche, auch wenn ich sie erst heute morgen angezogen hatte. Wahrscheinlich war ich damit eben irgendwo hängen geblieben. Meine Beine zitterten bei jedem Schritt den ich tat, meine Boots sanken nicht in dem sonst so morastigen Boden ein. Wahrscheinlich, oder eher bestimmt, war er bereits gefroren. Ich wusste nicht wieso, aber sonderlich kälter als drinnen in diesem grausamen Gemäuer war es nicht. Mit spitzen Finger wickelte ich meine Lederjacke noch enger um meinen Brustkorb und versteckte meine Nasenspitze in dem schwarzen Schal. Auch er kratzte, wir irgendwie alles an dieser maledeiten Schuluniform, die angedachten Strumpfhosen, der Rock, die Pullover. Alles kratze und alles war hässlich. Wie aus der Gründerzeit dieses Scheißdrecksloches stammend.
Mein Weg führte vorbei am Fluss, einen Moment lauschte ich den schäumenden Wogen, die das Einzige zu sein schienen was außer mir hier draußen noch am Leben war. Sie sangen ihr Lied in der sonst so kargen, blattleeren Winterlandschaft. Es lag bereits ein wenig Schnee, nicht mehr als drei Zentimeter aber es war Dezember, glaube ich jedenfalls. Mein iPod gibt hier oben viel zu oft seinen Geist auf. Es ist, als würden die dunklen Mauern selbst die Energie aus meiner lebensenergiespendenen Musik ziehen. Als wurde James Hetfield der Stecker gezogen. So'ne Dreckscheiße.
Es war nötig sich zu konzentrieren um auf dem Weg einer der zahllosen Hügel hinauf nicht auf dem gefrorenen Boden auszurutschen, wo ich überhaupt hin wollte? So weit weg wie möglich. Besser irgendwo in der Wildnis erfrieren als hier an Langeweile zu sterben. Ich hatte nicht mal einen Trainingspartner gefunden, im Grunde brauchte ich den jedoch auch nicht. Aber was ich brauchte war Crack, eindeutig. Irgendwie hatte ich es in den vergangenen Wochen immer wieder hinbekommen meine Nikotinsucht zu stillen, irgendwie, auch wenn es dazu nötig war den Tabak zu essen. Früher oder später würde ich eh sterben und allein meine Alkoholsucht raubte mir meine letzte Kraft, gepaart mit Crackentzug und ständigen Agressionen – Grund, zu wenig Metallica. Der einzige Ausgleich, der mir blieb war das Laufen. Auch an diesem Morgen hatte ich eine Runde gedreht, noch vor dem Morgenapell, mit dem Sport hier hatte ich am wenigsten Probleme, ich sah ihn eher als Entspannung. Danach war ich eiskalt duschen gegangen, wahrscheinlich gingen die Duschen hier gar nicht war, ich hatte es noch nich ausprobiert. Zu guter Letzt genehmigte ich mir jeden Morgen nach dem Duschen meine erste Marlboro und hörte dabei ''The Unforiven'' von Metallica, es war so Brauch. Schon immer, egal wo ich war. Angekommen auf dem höchten Punkt des kleinen Gipfels fiel mein Blick auf den Friedhof. Elenia hatte ihn bei einem unserer Gespräche den Friedhof der verlorenen Seelen genannt. Der Ort an dem jeder begraben war, der irgendwie seinen Tod in Nerodom gefunden hatte. Von hier oben schien er sich über eine Fläche, die mindestens zehn Fußballfelder maß zu erstrecken. Ich schluckte und machte mich auf, zum Anfang der Reihen von Grabsteinen. Es dauerte nicht lange und ich war den Hügel mehr herab geschlittert als gelaufen, bis ich den ersten Grabstein entdeckte. Vorsichtig ging ich einige Meter weiter durch die Reihen und begutachtete die Namen auf den Steinen, jedenfalls die, die man noch entziffern konnte. Ich hatte das Gefühl, mit jedem Schritt den ich tiefer Eindrang in die Ruhestätte sanken die Temperaturen. Schließlich tauchte eine Kaitlyn – Der Grabstein einer Kaitlyn, in meinem Blickfeld auf. Ich beschloss mich hier nieder zu lassen. Mit geschultem Blick holte ich ein wenig Crack und meine kleine Pfeife heraus. Mit einem Klacken flammte mein Feuerzeug auf und weniger als eine Sekunde später füllten sich meine Lungen mit der benötigten Droge. Ich lehnte mich zurück und bließ den Rauch gen Himmel. Warum zu Hölle war dies das einzige, was mit die Hölle hier etwas erträglicher machte?!